Ein unschöner Trend greift um sich: Anbieter von Cloud-Lösungen nutzen die Abhängig­keit ihrer Bestands­kunden aus und verändern die bis­herigen Konditionen – zum Teil drastisch. Das zer­stört Vertrauen, nicht nur in den jeweiligen Anbieter, sondern in Cloud-Lösungen generell.

Es gibt einfache Cloud-Lösungen, die schnell austauschbar sind. Geht es beispielsweise um einfachen Cloud-Speicherplatz, ist ein Wechsel sehr einfach. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass die Angebote immer besser werden und die Preise nicht unkon­trolliert davon ga­loppieren. Es gibt aber auch Cloud-Lösungen, für die sich Unternehmen langfristig ent­scheiden. Das betrifft zum Beispiel komplette Geschäfts­pro­zesse, die in die Cloud ausgelagert werden.

Die Einführung kostet viel Zeit und Aufwand. Die Investition rechnet sich durch die Nutzung des Systems über eine entsprechende Zeit. Bei der Entscheidung spielen der Leistungs­umfang des gewählten Tarifs und die damit verbundenen Kosten eine wichtige Rolle. Kontinuität und Vertrauen sind die Grundlage für die Entscheidung, in die Cloud zu wech­seln. Irritierend sind die jüngs­ten Vorfälle, die das Ver­trauen der Kunden in SaaS-Cloud-Anbieter erschüttern.

Das betrifft nicht mehr nur einzelne Plattformen. Unter­nehmer:innen, mit denen ich spreche, stellen wieder die Vertrauensfrage bezüglich Cloud-Anwendungen insgesamt. Cloud SaaS-Anbieter müssen ihren Kunden das gleiche Maß an Loyalität bieten, das sie von ihren Kunden erwarten. Die hohe Abhängigkeit des Kunden vom Anbieter, die durch seine Entscheidung für eine Plattform entsteht – der Lock-in-Effekt – darf nicht ausgenutzt werden!

Mir sind in den letzten Monaten und Jahren folgende Situationen aufgefallen:

Dirk Spannaus

Der Autor

Ich bin Dirk Spannaus, ein ge­schäfts­führender Gesell­schafter der twentyZEN GmbH. Ich habe als Dipl.-BW an der BA Sachsen mein Studium der Wirtschafts­infor­matik abgeschlossen. Mich fasziniert das Grenzgebiet zwischen wirtschaftli­chen Rahmenbedingungen und tech­nischer Machbarkeit innovativer IT Projekte.

Integromat wird zu Make – und verunsicher­te seine Kunden

Ende 2020 hat Celonis das Start-up Integromat übernommen. Im Zuge der Übernahme wird Integromat zu Make. Mit dem Umzug werden neue Konditionen für alle Kunden ange­kün­digt. Argumentiert wird mit neuen Leistungen und Funktionen – die für den Kunden, den wir zu dem Zeitpunkt betreuen, aber nicht relevant sind.

Lange ist unklar, ob Bestandskunden ihre Konditionen behalten können. Erst spät (Anfang 2022) lenkt der Anbieter nach viel Kundenfeedback ein und garantiert, dass Kunden ihren bisherigen Tarif zu den bisherigen Konditionen behalten können, solange sie nicht selbst den Tarif wechseln.

Für unseren Kunden – mit ehrgei­zigen Plänen – kam das zu spät. Wir sind frühzeitig im Projekt auf Node-RED umgestiegen. Die lizenzkosten­freie OpenSource-Version ist für den Einsatzzweck völlig ausreichend, bietet genügend Flexibilität und Reserven für den Ausbau. Eine gemanagte Instanz wird von einem regionalen IT Anbieter zu einem sehr fairen Preis betrieben. Die Anzahl der einzelnen Transaktionen spielt nun für das weitere Wachstum keine große Rolle mehr.

Ninox erhält neues Investment – und dreht an der Leistungs­schraube

Im Frühjahr 2022 fand eine weitere Finanzierungsrunde beim Low-Code-Anbieter Ninox statt. Kurz darauf wurden neue Pläne vorgestellt – und bei denen wird zunächst an den Leistungen gedreht: Statt einer unbegrenzten Anzahl an API-Auf­rufen soll die Menge künftig auf 1.500 pro Monat reduziert werden. Für ernsthafte Anwendungen, die miteinander synchron laufen, ist das deutlich zu wenig. Wer wirklich mit der API arbeiten möchte, sollte daher nun in den Business Tarif einsteigen, der bis zu 30.000 calls pro Monat bietet.

Für einen Kunden haben wir uns vor Projektbeginn speziell mit diesem Thema auseinandergesetzt, da es eine wichtige Variable für ein Inte­grationsprojekt mit einer Low-Code-Plattform ist. Ein dem Kunden ursprünglich zugesichertes »Grandfathering« wurde später doch zeitlich begrenzt und führte zu einem erheblichen Vertrauens­verlust gegenüber dem Anbieter.

Letztlich führte ein persönliches Treffen mit dem Anbieter und eine sachliche Abwägung aller Alterna­tiven zum Zeitpunkt des bereits fortgeschrittenen Projektes zu der Entscheidung, die Zusammenarbeit fortzusetzen. Für die Kundenbezie­hung und das Vertrauen in den Lieferanten war das Verhalten jedoch alles andere als optimal.

Podio schafft seinen wichtigsten USP ab – und erntet massive Kritik

Podio – ursprünglich ein Start-up aus Dänemark, später von Citrix über­nommen und mittlerweile Teil der Cloud Software Group – infor­mierte seine Kunden Mitte 2023 über „Exciting News“. Insbesondere über das neue Geschäftsmodell, das die Axt an den wichtigsten USP legt: Bisher konnten Gastnutzer kostenlos in die Organisation eines Podio-Kunden eingeladen werden, um gemeinsam zu arbeiten. Das war jahrelang ein starkes Argument für innovative Unternehmen, die mit Hilfe der Plattform Prozesse und Kommunikation über Unternehmens­grenzen hinweg digitalisiert haben. Das Angebot von Podio war einzigartig am Markt. Ganz nebenbei trugen die Kunden dazu bei, Podio immer bekannter zu machen – eingeladene Gäste konnten die Leistungsfähigkeit einer Low-Code-Plattform selbst erleben.

Verbunden mit einer sehr kurzen Vorlaufphase sorgte die Ankün­digung im Forum für Panik und richtig schlech­te Luft. Verständlich – haben doch viele Organisationen Prozesse etabliert, die externe Nutzer aktiv in Prozesse einbinden. Prozesse, die nun kurzfristig umgestellt werden müssen, damit die Kosten nicht plötzlich – wie in einem Beispiel von einem Nutzer im Forum genannt – um das bis zu 13-fache steigen. Nebenbei wurden Rabatte abgeschafft (ok, die waren freiwillig) und die Mindestanzahl an Lizenzen einfach mal auf drei erhöht.

Sicher – der Erfolg dieser Funktion hat vielleicht zu einer ordentlichen Belastung der Plattform geführt. Dennoch, es sollte nicht sein, dass eines der wichtigsten Features – noch dazu mit so kurzer Vorankün­digung – einfach ersatzlos gestrichen wird. Auch hier wäre ein „Grand­fathering“ angebracht gewesen.

Was ist eigentlich »Grandfathering«* (Bestandsschutz)?

„Grandfathering“ (oder besser: „Bestands­schutz“) im Kontext von SaaS-An­bietern bedeutet, dass Bestands­kunden weiterhin nach den alten Vertragsbedingungen oder Preisstrukturen bedient wer­den, so lange sie in dem gewählten Tarif bleiben. Die neuen Tarife und Bedingungen gelten für Neukun­den und Wechsler, die sich selbst für einen der neuen Pläne entscheiden.

Andererseits erhalten Bestands­kunden auch nicht automatisch jedes neue Feature. Das ist fair: SaaS Anbieter dürfen für höhere Leistung und neue Features über neue Pläne auch höhere Preise verlangen. Mit Bestandsschutz werden langjährige Kunden nicht von plötzlichen Änderungen der Rahmenbedingungen überrascht und Abhängigkeiten nicht ausgenutzt.

*) Es gibt Diskussionen, ob der Begriff „Grandfathering“ noch zeitgemäß ist. „Bestandsschutz“ ist eine alternative, unkritische Bezeichnung.

Ich habe das Thema auch mit ande­ren Cloud Dienstleistern disku­tiert. Teilweise gab es Verständ­nis: Die Weiterentwicklung einer Platform kostet Geld und die allgemeine Teuerung macht auch vor den Anbietern nicht halt.

Wieder andere argumentieren mit der Diskrepanz zwischen dem tatsäch­lichen und dem theoretisch mög­lichen Umsatz des Unterneh­mens. Aber – es sind eben rein theoretische Umsätze: Die Kunden haben den ursprünglichen Deal als fair emp­funden – die Kombination aus verfügbaren Features und Preis stimmte zum Zeitpunkt der Ent­scheidung. Sie haben sich entschie­den, einen bestimmten Preis für die angebotene Leistung zu zahlen.

Sollte es neuere, teurere Pläne mit einem besseren Preis-/Leistungs­verhältnis geben – wunderbar! Damit können SaaS Anbieter Kunden überzeugen, mit zu wachsen und noch viel mehr Leistung für etwas mehr Geld in Anspruch zu nehmen. Es ist jedoch unklar, ob diese neuen Fea­tures auch einen Nutzen für den Bestandskunden haben. Als Argu­ment für eine erzwungene Preiser­höhung taugt es nicht.

Es ist nicht einfach, beide Interes­sen – das wirtschaftliche Wachstum des Anbieters und die erwünschte Stabilität der Rahmen­bedingungen für die Kunden – in Einklang zu brin­gen. Eine Kündigung bei Preiserhö­hungen ist zwar immer möglich, aber der Wechsel ist für den Kunden immer mit hohen Extrakosten verbunden.

Ach und bitte, liebe Anbieter – erzählt uns nicht immer wieder, es wäre nicht möglich oder zu aufwen­dig, verschiedene Pläne parallel zu betreiben. Ihr schafft es doch auch zwischen Starter, Premium und Enterprise zu unterscheiden? Es sollte kein Problem sein, auch „Legacy“ Pläne weiter zu betreiben.

Liebe Cloud Anbieter,

es hat Jahre gedauert, Kunden davon zu überzeugen und das notwendige Vertrauen aufzubauen, wichtige Geschäftsprozesse in der Cloud zu betreiben. Setzt das nicht aufs Spiel für das vermeintlich schnelle Geld.

Lasst nicht zu, dass kurzfristige Wachstumsziele und akuter Umsatz­druck dazu führen, dass Ihr Eure Bestands­kunden unfair behandelt.

Bietet „Bestandsschutz“ als Garantie an – ohne Wenn und Aber. Baut spannende neue Features, damit Kunden freiwillig und gerne in Eure neuen Tarife wechseln.

Liebe SaaS Kunden,

sprecht mit Euren Anbietern über „Bestandsschutz“ und dokumen­tiert vor Vertragsabschluss wichtige Rahmen­bedingungen.

Klärt wenn möglich bereits vor Vertragsab­schluss mit Cloud-Anbietern Details eines späteren Ausstiegs. Vergleichbar vielleicht mit einem Ehevertrag, in dem auch Details für eine Trennung geklärt sind.

Verlangt von Cloud-Anbietern, insbesondere, wenn Ihr wichtige, geschäfts­kritische Prozesse um­setzen wollt, verbindliche Tarife mit einer sinnvollen Laufzeit.

Unterstützt und fördert OpenSource-Alternativen, damit ein fairer Wettbe­werb mit Wahlfreiheit auch in Zukunft erhalten bleibt.

Cloud-Anbieter sollten das Vertrauen und die Loyalität ihrer Bestands­kunden schätzen. Kurzfristige finan­zielle Ziele oder der Druck, den Um­satz zu steigern, dürfen nicht zu Entscheidungen führen, die lang­fristige Kundenbeziehungen gefährden.

Es ist wichtig, dass Anbieter ihre Be­dingungen transparent halten und Änderungen nur nach sorgfältiger Überlegung und Kommunikation mit ihren Kunden vornehmen. Die Kun­den ihrerseits sollten von ihren Lieferanten verbindliche Vertragsbe­dingungen verlangen und sich über mögliche Änderungen im Klaren sein.

Ein ausgewogenes Verhältnis zwi­schen dem wirtschaftlichen Wohl­ergehen des Anbieters und der Zufriedenheit des Kunden ist für eine erfolgreiche und nachhaltige Ge­schäftsbeziehung unerlässlich.

Die „Hall of Fame“

Es gibt auch vorbildliche SaaS-Anbie­ter, die sich an die ungeschriebenen historischen SaaS-Regeln halten:

  • Der Anbieter der Low-Code-Plattform Tape aus München garantiert seinen Kunden „Bestandsschutz“ in den Tarifen von Anfang an. Tape weiß, dass die Implementierung von Prozessabläufen in Low-Code ein Investment ist. Auch ein späterer Wechsel ist mit Auf­wand verbunden. Die Kunden können ihre verein­barten Konditionen behalten, aber jederzeit auch auf aktuelle Pläne upgraden.
  • Der Anbieter der CRM-Anwen­dung Nethunt mit Standorten in der Ukraine und den USA plant neue Pakete mit geänderten Konditionen. Unter anderem soll die Anzahl der API-Anfragen beschränkt werden – von ursprünglich unbegrenzt auf 1.000 API calls im Monat im kleinsten Vertrag, der einen API Zugang beinhaltet. Auf Rück­frage wurde uns nun versichert, dass Nethunt die bisherigen Pläne respektieren wird und Bestandskunden ihre Kondi­tionen behalten dürfen.

Bauen wir diese „Hall of Fame“ weiter aus: Welche Cloud-Anbieter bietet auch faire Konditionen und Bestands­schutz, die seine Kunden nicht in eine einseitige Abhängig­keit bringen? Ich werde den Artikel gerne laufend ergänzen und aktualisieren. Lassen Sie uns auf LinkedIn weiter diskutieren.

Transparenz-Hinweis: Wir sind Partner von Tape & Ninox und betreuen auch heute noch Kunden auf der Plattform Podio. Als technologie­neutraler Berater sei uns Lob und Kritik an den genannten Plattformen im Interesse unserer und eurer Kunden erlaubt.

Cloudanbieter, wir müssen reden!

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Dirk Spannaus

Der Autor

Ich bin Dirk Spannaus, ein geschäfts­führender Gesellschafter der twentyZEN GmbH. Ich habe als Dipl.-BW an der BA Sachsen mein Studium der Wirtschafts­infor­matik abgeschlossen. Mich faszi­niert das Grenzgebiet zwi­schen wirt­schaft­lichen Rahmen­bedingun­gen und technischer Machbarkeit innovativer IT Projekte.